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| rau·sch·end 2025–1898 / Schalltrichter-Werke von Mauricio Kagel, Abril Padilla, Charlotte Torres und Igor Strawinsky |
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Sa. 25.10.2015 – So. 26.10.2025, Museum Tinguely, Basel |
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Die Welt und ihr Rauschen hört man viel lauter, wenn man sein Ohr an einen Schalltrichter hält. Spricht oder singt man hinein, wird man selbst besser gehört. Im Projekt rau·sch·end 2025–1898 des ensemble arcimboldo wird als Hauptwerk und Inspirationsquelle Mauricio Kagels ‹1898› für Kinderstimmen und Instrumente in der ursprünglich intendierten Version mit Schalltrichter-Streich-instrumenten vom Beginn des 20. Jahrhunderts aufgeführt. Deren besondere klangliche Möglichkeiten werden zudem in zwei Neukompositionen von Abril Padilla und Charlotte Torres ausgelotet. Der Kinderstimmen-Part von Kagels ‹1898› und die partizipative Komposition DE·MO für Kinderstimmen und grosse Sprachrohre von Abril Padilla werden von der Klasse 5a der Primarschule Niederholz ausgeführt (Nachwuchsförderprojekt 2025 der Ernst von Siemens Musikstiftung). Die Aufführungen finden im Museum Tinguely in Basel statt, wobei Tinguelys Musikmaschinen sowohl Assoziationen zu Kagels Werk und den Schalltrichter-Instrumenten wecken als auch szenisch und akustisch einbezogen werden.
ensemble arcimboldo, Basel
Thilo Hirsch - Leitung/Phono-Fiddle
Helena Bugallo - Klavier
Juan Braceras - Stroh-Violine
Mara Miribung - Stroh-Cello
Ruben Santorsa - Phono-Ukulele
Aleksander Gabrys - Kontrabass
Lanet Flores - Klarinette/Bassklarinette
Jonathan Romana - Trompete
Anita Kuster - Posaune
Sophia Nidecker - Tuba
Maria Luisa Pizzighella - Schlagzeug
Primarschule Niederholz, Riehen: Klasse 5a
Workshop-Leiterinnen: Abril Padilla, Naja Parejas
Idee, Konzept, Regie: A. Padilla, T. Hirsch
www.facebook.com/ensemble.arcimboldo/ |
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Projektbeschreibung: |
Im Mittelpunkt des Projekts rau·sch·end 2025–1898 des ensemble arcimboldo steht ein Werk von Mauricio Kagel, das dieser 1972/73 im Auftrag der Deutschen Grammophon-Gesellschaft für deren 75-jähriges Jubiläum komponiert hatte: ‹1898› für Kinderstimmen und Instrumente. Als Inspirationsquelle dienten Kagel einerseits die für die frühen Grammophon-Aufnahmen verwendeten Streichinstrumente mit Schalltrichtern, deren bekanntestes die nach ihrem Erfinder Johannes Stroh (1828–1914) benannte Strohgeige ist. Andererseits war Kagel – um der «wohlorganisierten Klangwelt der Erwachsenen» etwas entgegenzusetzen – die Mitwirkung einer stimmlich «ungeschulten» Schulklasse wichtig. Die kreative und partizipative Erkundung klanglicher Verläufe sollte in den Kindern «den Wunsch zur eigenen Äusserung» entstehen lassen.
Nachdem es Kagel 1972 trotz mehrmonatiger Suche nicht gelang, originale Stroh-Instrumente für seine Komposition zu finden, entschloss er sich, ein Quartett von Schalltrichter-Streichinstrumenten bauen zu lassen, die dann für die Uraufführung von ‹1898› verwendet wurden. Diese Instrumente befinden sich seit 2024 im Besitz der Paul Sacher Stiftung und werden im Musikmuseum Basel aufbewahrt. Da sich die Instrumente nicht mehr in einem spielbaren Zustand befinden und aus konservatorischen Gründen eine Spielbarmachung nicht denkbar ist, haben wir uns entschlossen zu Kagels ursprünglicher Idee zurückzukehren: der Aufführung von ‹1898› mit originalen Schalltrichter-Streichinstrumenten aus dem frühen 20. Jahrhundert, die damals weit verbreitet waren. Was für Kagel 1972 noch ein unlösbares Problem war, ist im Zeitalter des Internets viel einfacher geworden. Seit Ende 2023 konnte Thilo Hirsch bei verschiedenen Online-Auktionen mehrere Schalltrichter-Instrumente (wie Strohgeige, Stroh-Cello, Stroviol, Phono-Fiddle und Phono-Ukulele) für das ensemble arcimboldo erwerben, von denen fünf für das Projekt spielbar gemacht bzw. restauriert wurden. Diese bisher kaum bekannten gestrichenen und gezupften Trichterinstrumente erklingen in ‹1898› zusammen mit den geblasenen (Trompete, Posaune, Tuba, Klarinette/Bass-klarinette) sowie den von Kagel als «obligat» bezeichneten Instrumenten Klavier und Schlagzeug. Als Solowerke für Trichter-Instrumente werden Kagels Schattenklänge für Bassklarinette (1995), Old/New für Solotrompete (1986) und Igor Strawinsky Tango für (Stroh)-Violine und Klavier (1940) gespielt. Um die klanglichen Möglichkeiten der gestrichenen Trichter-Instrumente und deren Verbindung zu den frühen Tonaufnahmen noch weiter auszuloten, hat das ensemble arcimboldo zudem zwei Neukompositionen für Phono-Fiddle und Grammophon bei den Komponistinnen Abril Padilla und Charlotte Torres in Auftrag gegeben.
Abril Padillas Stück 78 RPM dreht sich um die akustische Welt der Phono-Fiddle, eines Streichinstruments mit Schalltrichter, und dessen Begegnung mit einem Grammophon. Beide ‹Instrumente› basieren auf dem Prinzip des Schalltrichters und der Reibung (des Bogens auf der Saite bzw. der Nadel auf der Platte), wobei die technischen Bedienungs-Details des Grammophons den gesprochenen Text des Stückes bilden. Die ‹Reibungs-Möglichkeiten› beider Instrumente werden mithilfe des Vokabulars der Tribologie (Reibungswissenschaft) wie beispielsweise ‹Knistern›, ‹Quietschen›, ‹Knirschen›, ‹Zwitschern› etc. ausgelotet. Während die Phono-Fiddle live spielt, sind die Reibungsklänge des Grammophons komponiert und erklingen von einer neu erstellten Schellack-Platte. Diese wird im Dialog mit der Phono-Fiddle mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten abgespielt. Es entsteht ein Rennen gegen die Zeit: von über 78 Umdrehungen pro Minute (RPM) bis zum Stillstand.
Charlotte Torres Jungle Jazz Suite für Phono-Fiddle und Grammophon ist eine Reihe von kurzen, humoristischen und geräuschhaften Liedern, die an den Dschungel-Jazz der 1920er Jahre anknüpfen. Dabei ist der Klavierpart ein wilder Swing im Stil des Money Jungle Song von Duke Ellington, animalisch und geräuschvoll. Die Phono-Fiddle spielt eine seltsam nasale Mitteltonmelodie. Der tierische Lärm changiert zwischen «Vox Balaenae» nach George Crumb, der pianistischen Chromatik Saint-Saëns und Dukes Trompeten-Wahwahs.
Die akustischen, kommunikativen und performativen Möglichkeiten von Schalltrichtern bzw. Sprachrohren werden in der Neukomposition DE·MO von Abril Padilla beleuchtet. Dieses Werk wurde – zusammen mit dem Kinderstimmen-Part in Kagels ‹1898› – von der Klasse 5a der Primarschule Niederholz in einem zweieinhalbmonatigen Vermittlungs-Workshop (Nachwuchsförderprojekt 2025 der Ernst von Siemens Musikstiftung) partizipativ erarbeitet. |
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| Programm: |
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Mauricio Kagel
(1931–2008) |
‹1898› für Kinderstimmen und Instrumente (1972/73),
Teil I, Moderato – Allegretto |
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Mauricio Kagel |
Schattenklänge für Bassklarinette solo (1995),
Episode II |
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Abril Padilla
(*1970) |
78 RPM. Instrumentales Theater für Phono-Fiddle und Grammophon (UA) |
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Mauricio Kagel |
Old/New für Solotrompete (1986) |
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Abril Padilla |
DE·MO für Kinderstimmen und Sprachrohre (UA) |
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Charlotte Torres
(*1979) |
Jungle Jazz Suite für Phono-Fiddle und Grammophon (UA),
1. String-Stroh in the Douanier Rousseau's Jungle with Pelicans and Flamin-gos, 2. Hok! Hok! The Stroh Toucan's Song, 3. The Lion's Phono-Fiddle, 4. Jane and her Stroh Elephant, 5. String-Stroh and a chimpanzee up a tree |
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Igor Strawinsky
(1882–1971) |
Tango für (Stroh-)Violine und Klavier (1940) |
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Mauricio Kagel |
‹1898› für Kinderstimmen und Instrumente (1972/73),
Teil I, Andante – Assai Vivace |
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Kollektiv |
Tutti-Improvisation mit Tinguely-Maschinen und Publikum |
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Mauricio Kagels ‹1898› – Instrumente und Entstehungsgeschichte |
Die Instrumente und Klangerzeuger, die Mauricio Kagel für sein Instrumentales Theater gesammelt oder entwickelt hatte, kamen 2004, als Anhang seiner seit 1996 in der Paul Sacher Stiftung aufbewahrten Manuskriptsammlung, nach Basel. Eine gewisse Enttäuschung war allerdings zu spüren, als bei der Sichtung der Instrumente keine Spur von den ikonischen Trichter-Streichinstrumenten für ‹1898› zu finden war. Kagel meinte damals, diese seien womöglich zerstört. Erst 2024 tauchten die Instrumente im Archiv der Deutschen Grammophon Gesellschaft (DGG) wieder auf und kamen als Nachtrag zur Sammlung.
Die vier Trichter-Instrumente, die im Musikmuseum Basel aufbewahrt werden, sind zwar nicht in spielbarem Zustand, doch lässt sich deren eigentümliche Bauweise gut nachvollziehen. Als Basis dienten konventionelle, aber unlackierte, in Kagels Worten «weisse Instrumente» – Geige, Bratsche, Cello und Kontrabass. Sie wurden in optischer Anlehnung an die Trichter-Streichinstrumente des frühen 20. Jahrhunderts mit Metalltrichtern bestückt. Der Holz-Resonanzkörper ist zwar vorhanden, wird aber umgangen: die Saitenschwingung wird vom Steg nicht auf die Holzdecke, sondern auf das Trommelfell eines darunterliegenden Metallbechers übertragen und über das Trichterrohr nach aussen geführt. Die akustische Effizienz dieser Konstruktion ist jedoch nicht mit den ‚echten‘ Trichter-Streichinstrumenten vom Beginn des 20. Jahrhunderts vergleichbar.
‹1898› entstand als Kompositionsauftrag zum 75-jährigen Bestehen der Deutschen Grammophon Gesellschaft (1898–1973) und ist im Grunde eine Bündelung vieler Ideen. Zu den Trichter-Instrumenten assoziierte Kagel die Form der Grammophon-Trichter sowie die DGG-Schallplattenreihe «Archiv Produktion», in der historische Musik profund dokumentiert und zugänglich gemacht wurde. Die Verwendung von Versatzstücken historisch anmutender Begleit- und Melodiefloskeln in ‹1898› nimmt wohl darauf Bezug. Dazu kommt die Imagination früherer Tonaufnahmetechnik, einerseits mit der dreistimmigen Reduzierung des Instrumentalsatzes, andererseits mit szenischen Ideen, die jedoch wieder verworfen wurden: Grosse Aufnahmetrichter sollten seitlich auf die Bühne ragen; das Ensemble sollte aus getrennten Damen- und Herrenkapellen bestehen, mit Vorhang voneinander getrennt; selbst über die Projektion historischer Stummfilme wurde nachgedacht. Die vom Rezensenten der NZZ damals durchaus positiv als «Neodadaismus» bezeichneten «unverstellten Vokalproduktionen» der Kinder, «die dann von einem Instrumentalensemble fortgeführt, reflektiert oder kontrastiert werden», waren ein wichtiges Element des Stückes, zu dem Kagel notierte: «Kinder = Zukunft der DGG!». Die von Kagel schon vor der Uraufführung produzierte Schallplattenaufnahme, lässt die Konzeption von ‹1898› als komponierte Rückschau auf frühe Tonaufnahmen hörspielartig gut nachvollziehen und zeigt, wie gut Kagel die Feinheiten der Aufnahmetechnik beherrschte. |
Matthias Kassel,
Kurator der Sammlung Mauricio
Kagel in der Paul Sacher Stiftung |
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| Wir danken für die grosszügige Unterstützung durch: |
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- Fachausschuss Musik / Kanton Basel-Stadt Kultur / kulturelles.bl
- Ernst von Siemens Musikstiftung
- Ernst Göhner Stiftung
- Stiftung Kagel-Burghardt
- Schweizerische Interpretenstiftung
- Fondation SUISA
- Cantilena Stiftung
- Ruth und Paul Wallach-Stiftung
- Private Sponsoren
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