5. A.WENZINGER:
"ÜBER EINE VERGESSENE GAMBENKUNST"


Wie man einem Konzertprogramm-Entwurf in seinem Nachlass entnehmen kann, war August Wenzinger einer der wenigen Gambisten, die sich intensiv mit dem "cantar alla viola" beschäftigten.1 So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Wenzinger versuchte dieses Repertoire noch mit selbst intavolierten Stücken zu erweitern. Da ihm aber die dreistimmige Originalfassung von „Io vorrei Dio d'amore" von G. Fogliano anscheinend nicht zur Verfügung stand, kommt er in einigen Punkten seines Beitrags "Über eine vergessene Gambenkunst"2 von 1932 und der dazugehörigen Intavolierung eines Madrigals von J.Arcadelt3 zu Intavolierungslösungen welche nicht dem Stil Ganassis entsprechen.
        Gerade deswegen ist Wenzingers Artikel und seine Intavolierung eine gute Ergänzung dieser Diplomarbeit, da man daran sehr gut studieren kann, zu welchen Ergebnissen man ohne den oben vorgenommenen Vergleich Fogliano - Ganassi kommen würde.

August Wenzinger, "Über eine vergessene Gambenkunst: ...In einer solchen Interpretation sind nun jene Sätze am geeignetsten, deren Stimmen in möglichst enger Lage zueinander stehen. Denn schon eine Oktave läßt sich auf der Gambe nur darstellen, wenn der untere Ton durch eine leere Saite gespielt werden kann. Dies ist oft durch eine Transposition des ganzen Stückes möglich. Wenn nicht, so ist eine zwischen den beiden Tönen liegende (sehr häufig angewandte) Hilfsnote nötig. Zuviel solcher Füllnoten aber hemmen den Fluss des Satzes und verderben ihn. Es ist daher in vielen Fällen, wenn es die Stimmführung erlaubt, ratsam, Stimmen, die sich nach oben oder unten sehr weit von den übrigen entfernen, in die entgegengesetzte Oktave zu transponieren oder einen Akkord zu brechen und seine Töne einzeln in einer passenden metrischen Einteilung zu spielen. Im allgemeinen gibt man den durch ihre Bewegung wichtigen Stimmen den Vorzug; liegenbleibende Noten wird man oft ausfallen lassen und sie erst wieder aufnehmen wenn sie ihrerseits durch eine Bewegung führend werden. ...
        Alle diese Anweisungen werden durch die drei Sätze der Notenbeilage dieses Heftes erläutert. Neben einem dreistimmigen Madrigal (zitiert nach A. Schering, Musikgeschichte in Beispielen)4 geben die beiden allgemein bekannten und zum Vergleich heranzuziehenden vierstimmigen Sätze Beispiele eines Tenor- und eines Sopranliedes. Sie sind naturgemäß keine irgendwie gültige und feststehende "Bearbeitung" sondern eine rein individuelle Interpretation des Schreibers dieser Zeilen gemäß den lebendigen Gesetzen alter Musikübung..."

Das von Wenzinger intavolierte Madrigal "Voi mi ponesti in foco" ist in einer früheren Fassung Bestandteil derselben Sammlung (Scotto, Venedig 1537), in welcher Foglianos "Io vorrei Dio d'amore" erstmalig gedruckt wurde. Dies zeigt die direkte stilistische Nähe der beiden Madrigale und ist eine zusätzliche Legitimation eine Intavolierung im Stil Ganassis vorzunehmen. Um das Madrigal für Singstimme und Bassgambe spielbar zu machen, transponiert Wenzinger es eine kleine Septime (im Verhältnis zum Original) nach unten.

Die im folgenden Beispiel in den Kästchen stehenden Zahlen, wie z.B. 1.1, bezeichnen diejenigen Intavolierungslösungen, welche dem in Kapitel 4 erstellten Regelkatalog nach Ganassi entsprechen (durch Anklicken kann man zum entsprechenden Punkt springen). Alle nicht so bezeichneten Stellen werden einzeln besprochen.


NÄCHSTES KAPITEL - INHALTSVERZEICHNIS


1Leider ist nicht ersichtlich, ob Wenzinger, der eine gute Tenorstimme gehabt haben soll, den Gesangspart selbst ausführte.
2
Über eine vergessene Gambenkunst, Collegium Musicum, Heft 2, Kassel 1932, S. 23-26.
3Kleine Bärenreiter Ausgabe 573/574.
4Die von Arnold Schering in seinem Buch Aufführungspraxis alter Musik, Leipzig 1931, S. 96 für "Voi mi ponesti in foco" benützte Quelle basiert auf "Il primo libro di Madrigali d'Arcadelt", Gardano, Venedig 1559, ist aber um einen Ganzton nach oben transponiert.